Guten Abend.
Mein Name ist 4zido, was so viel bedeutet wie „militanter Exraucherarschlochschweinesausack“. In meiner Freizeit sprenge ich Tabakläden in die Luft, überfahre Raucher auf offener Straße mit meinem Fahrrad, male Zigarettenverkäufern die Aufschrift „Mörder!“ auf die Stirn und erschlage mit der bloßen Hand Zigarettenschachteln in Supermarktauslagen.
Nein, irgendwie stimmt das so wohl nicht. Aber so oder so ähnlich kategorisieren mich wohl all jene, die mir mit ihrer offen ausgelebten Rücksichtslosigkeit mehr und mehr auf den Sack gehen. Und das werden leider von Tag zu Tag mehr.
Folgendes Szenario hat mich heute Morgen dann so weit gebracht, dass ich tatsächlich mal meine Kopfhörer abnahm – etwas, das ich sonst nur erzwungen durch mein unmittelbar eintretendes Ableben in der Öffentlichkeit tun würde – und einer jungen „Mutter“ mal die Meinung dings.. äh.. geigen musste:
selbige stand am Stuttgarter Hauptbahnhof in der Klettpassage (Für die Ortsunkundigen: der Shoppingbereich zwischen S-Bahn, Fernbahn und U-Bahn) – immerhin – an einem so gekennzeichneten Raucherbereich und qualmte dort munter telefonierend vor sich hin. Um sie herum zählte ich sieben weitere Personen, die ebenfalls zu einer möglichst undurchdringlichen Wolke aus Zigarettenabgasprodukten beitrugen. Das wäre eine für mich nicht weiter verwerfliche Situation, hätte eben jene junge Dame, die ich dessenthalben wohl Mutter schimpfen muss, nicht auch noch ein Kleinkind bei sich, welches neben ihr und zwischen allen anderen Rauchern unter heftigem Gebrüll darum kämpfte, in seinem Kinderwagen ein einigermaßen atembares Klima zu erhalten. Gut, dass es brüllte, vernahm ich erst, nachdem der Kopfhörer unten war, aber der rote Kopf und der recht unentspannt wirkende Gesichtsausdruck reichten auch ohne Ton schon dazu aus, die Lage zu erkennen. Nur offensichtlich für die Mutter nicht. Die war zu sehr mit rauchen und telefonieren beschäftigt, um ihren Nachwuchs zu retten.
Was folgte, waren ein paar recht unwirsche Worte meinerseits, deren genauen Wortlaut ich an der Stelle nicht wiederholen möchte. Ich darf allerdings behaupten, dass diese – auch wenn sie möglicherweise nicht vollständig in das Gehirn der Frau vordrangen – die Situation entschärften. Also zumindest für das Kind. Die Frau hatte plötzlich keine Lust mehr zu telefonieren, warf die restliche Kippe irgendwohin (wie Raucher das gerne so tun) und schob unter mir unverständlichen Schimpflauten ihr Kind von dannen.
Mich beschäftigte diese Situation so sehr, dass ich mich die ganze Fahrt ins Büro fragte, wie man nur so fahrlässig sein kann. Und erinnerte mich an meine eigene Zeit als Raucher. Erinnerte mich an meine eigene „mir doch scheissegal“ Einstellung, wenn es darum ging, mein Verhalten zu beurteilen. Ich war genauso! Vielleicht nicht ganz so dämlich – immerhin habe ich Junior nicht in meine Nähe gelassen, wenn ich am Qualmen war – aber dennoch genauso rücksichtslos. Ich habe auch in der Wohnung geraucht und weiss heute, dass es scheissegal ist, ob das Kind nun beim Rauchen im selben Raum ist oder nebenan – es schädigt ihn genauso sehr, weil der Qualm sich eben überall absetzt und die Schwaden auch in sein Zimmer ziehen.
Ich bin auch aus der Bahn, aus dem Auto, aus dem Laden, aus dem Büro raus und hab mir erst mal eine angesteckt. Mir war weder bewusst, dass jeder Umstehende, jeder der hinter mir läuft oder steht meinen Qualm ins Gesicht kriegt, noch hat es mich interessiert. Ich hab meine runtergerauchte Fluppe auch einfach irgendwo hingeworfen. Ich kenne das alles. Ich kenne auch das Gefühl, sich als Raucher angegriffen zu fühlen, wenn mal einer was dazu sagt, das nicht angenehm ist.
Aber anstatt, dass man nun sagt „hey, der weiss von was der redet, hören wir ihm also zu!“ kriegt man an den Kopf geworfen „Du hast die Scheisse jahrelang selber fabriziert, also schwing Dich jetzt gefälligst ja nicht zum Moralapostel auf. Bei militanten Ex-Rauchern wie Dir kriegt man die Kretze!“
Tja. Was soll ich sagen. Einerseits stimmt es. Andererseits: Wenn man aus eigenen Fehlern etwas lernt, darf man das Gelernte dann nicht weitergeben, nur weil man den Fehler selbst begangen hat? Darf man sich nicht drüber aufregen, wie rücksichtslos Raucher anderen Menschen gegenüber handeln, weil man selber einer war?
Auf Twitter antwortete mir heute eine sinngemäß: „Leben und leben lassen. Hör auf, anderen Deine Meinung aufzuzwängen. Lass die Raucher rauchen und tun, was sie tun.“ Klar. Ich würde gerne mal sehen, wie sie darauf reagieren würde, wenn jede dritte Person vor ihr kurz stehenbleibt, um ihr ins Gesicht zu furzen. Oder alle 15 Zentimeter auf ihrem Fußweg ein Stück Scheisse liegt. Ob sie dann immer noch so entspannt bleibt?
Ich weiss nicht. Vermutlich wohl nicht.
Aber ich weiss: jeder mit einem kleinen bisschen Resthirn kann sich und seine Sucht so weit unter Kontrolle behalten, dass er andere damit nicht belästigt oder beeinträchtigt. Vor allem, wenn es um die geht, die sich dagegen nicht wehren können. Er muss es nur wollen.
Vielleicht geht der eine oder andere Raucher nach dem Lesen dieses Textes einfach mal rücksichtsvoller mit anderen um. Schmeisst seine Kippen nicht überall hin, sondern in einen Aschenbecher. Raucht dort, wo es andere nicht stört oder sogar beeinträchtigt. So ganz von sich selber aus, ohne Verbote oder Bußgelder oder militante Exraucherarschlochschweinesausäcken wie mich, die einen deswegen anmotzen.
Das wäre schön.
Mir ist es lieber, wir regeln das untereinander, als dass der Staat sich in jeden Bereich des täglichen Lebens einmischt.
Natürlich kann man argumentieren, dass jeder die Freiheit hat, sein Leben zu gestalten. Aber doch nur bis dahin, wo die Freiheit eines Anderen beeinträchtigt wird. Gerade bei Kindern ist es enorm wichtig diese Grenzen zu erkennen und zu achten. Wenn du also in einer solchen Situation das Wort ergreifst, finde ich das absolut richtig. Entweder ergreift die Person, wie bei dir geschehen, kurzum die Flucht, oder aber es ergibt sich ein anregendes Gespräch mit argumentativem Austausch.
Oder du kriegst einfach was auf die Fresse. 😉
Danke. Ich habe zwar nie geraucht. Dafür hatte ich aber massives Übergewicht und habe mit meiner Essucht sicherlich auch andere Leute belästigt, die in der Bahn, im Aufzug oder auf der Treppe neben mir keinen Platz mehr fanden, ausweichen oder warten mussten.
Nein, ich habe *diese* anderen vermutlich durch meine Sucht nicht in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Überhaupt andere jedenfalls nicht unmittelbar in ihrer Gesundheit beeinträchtigt – doch aber mittelbar.
Mir ist nämlich durchaus bewusst, dass viele der Lebensmittel, die ich zu viel und vor allem die falschen vertilgte, dazu führten, dass Menschen in anderen Teilen der Welt bei der Produktion oder wegen der Produktion dieser Lebensmittel in ihrer Gesundheit massiv beeinträchtigt wurden. Das war mir übrigens genauso scheißegal, wie Dir oben beschrieben. Ich hatte das Geld ich konnte das kaufen, musste doch also gerecht sein so. Dem ist natürlich nicht so. Die Ungleichverteilung besonders monetärer Ressourcen auf unserem Planeten ist ja kein Geburtsrecht von uns Menschen in unserer sogen. 1. Welt, sondern eher ein zufälliger Ist-Zustand, in den wir zufällig am richtigen Ort hineingeboren werden.
Insofern fängt der Spruch „leben und leben lassen“ (des mir zuvorgekommenen Kommentators Deines Blogs) für mich eigentlich hinten an. Erst wenn ich leben lasse habe ich auch die Möglichkeit zu leben und nicht nur zu überleben.
Wobei mir durchaus bewusst ist, dass es nicht nur unsere Ernährungsgewohnheiten in der sogen. 1. Welt sind, die Menschen anderswo, bei der Produktion des Luxus, den wir uns erlauben (egal ob bei Kleidung, Lebensmitteln, Elektronik, Transport oder Luxusartikeln usw.) erheblich in ihrer Gesundheit beeinträchtigen.
Insofern ist es vielleicht einfach die Haltung zu jeder Art des eigenen Konsums, die Änderungen herbeiführen könnte. Einfach mal -. Vielleicht nicht dauernd aber wenigstens ab und zu – die Mir-doch-Scheißegal-Haltung ablegen und drüber nachdenken, was ich da gerade mache.
Zum Beispiel dessen was ich meine: Ich fahre ein 10 Jahre altes Automobil. Jeder meiner Geschäftsführerkollegen zeigt mir nen Vogel. Schließlich tauschen die ihre Leasingfahrzeuge nach spätestens 24-36 Monaten gegen ein neueres, schickeres, moderneres Modell um. Aber: mein 10 Jahre alter Wagen ist ja nicht verrottet, verrostet oder unbequemer als vor 10 Jahren. Er wurde regelmäßig in einer Vertragswerkstatt des Herstellers gewartet und besitzt denselben luxuriösen Wert wie vor 10 Jahren. Klar hat er heute nicht mehr den Wert als Statussymbol, den er vor 10 Jahren hatte. Ist halt alt. 330.000 km gelaufen. Hat auch nicht mehr die Modernität, die heute durchaus einfachere Fahrzeuge als Standard haben. Mir als Technikfreak geht das vielleicht noch am Nähesten 😉
D.h. ja, auch ich habe zu Gesundheitsschäden bei jenen beigetragen, die Komponenten für dieses Automobil unter Umständen produzieren mussten, die ich für mich als eher „unwürdig“ betrachten würde. Aber mit ein bisschen Überlegung konnte ich diesen Schaden zumindest auf 1/3 bis 1/5 dessen reduzieren, was bei vergleichbarer Leasing-Gedankenlosigkeit meiner Geschäftsführerkollegen möglich gewesen wäre.
Ich denke jeder findet in seinem Leben mindestens eine solche „Mir-doch-Scheißegal“-Gedankenlosigkeit, die abzulegen hilft, andere weniger zu belästigen oder in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen. So habe ich Deinen Blogbeitrag als Appell an mich verstanden diesbezüglich noch aufmerksamer zu sein.
Und schon habe ich zum Nachdenken angeregt. Das ist mehr, als ich erwartet habe! Danke für diesen ausführlichen Kommentar von Dir..