Guten Tag.
Wer, so wie ich, schon ein paar Lenze zählt, der hat schon so die eine oder andere Zeit erlebt.
Der erfahrungsbeladene Homo Sapiens neigt gerne dazu, „früher war alles besser“ zu skandieren. Wobei das eine Frage der Definition von „früher“ ist. Es soll ja hierzulande nicht immer Schlaraffenland-Zaubertrank-Stimmung geherrscht haben, wie man so sagt.
Wenn ICH von „früher“ spreche, dann von Zeiten, in denen man seine Freunde und Bekannten vollständig real in seinem persönlichen Umfeld um sich scharte. In denen man die Telekommunikation dazu verwendet hat, den nächsten Kontakt zu verabreden. Sich zwar per Telefon Geschichten und Tagesabläufe erzählte, weil man gewungenermaßen räumlich getrennt war, aber der wirkliche Kontakt darin bestand, sich (zumindest zur Begrüßung und Verabschiedung) anfassen und in einem geradezu unfassbar realen 3D erleben zu können.
Dann kamen Heimcomputer in Mode, und die sozialen Kontakte wurden schleichend weniger. Irgendwie hat sich eine neue Spezies gebildet, die sich mehr mit diesen Geräten befasste als mit ihrem Umfeld. Diese Spezies hat diverse Stilblüten und Klischees entwickelt (Wer kennt nicht das Bild vom Computerfreak, der sich nur noch von Pizza und Cola ernährt und zuhause vor sich hin verfettet? Jeder weiss, von was ich da schreibe.)
Grüppchen bildeten sich. Dieses Rudelverhalten ist nicht untypisch für die Gattung Mensch. Neu kam nur hinzu, dass für einige die Maschine wichtiger wurde als der Mensch, und die Anderen sie dafür mitleidig belächelten. Das sicherte den Ersteren zwar einen technischen Vorsprung, den Zweiten aber immer noch Geschlechtsverkehr und Geselligkeit.
Nun waren die Freaks ja nicht doof, mit größeren Zusammentreffen von Gleichgesinnten nebst dem mitgebrachten Computer hatten die sich schnell in turnhallengrossen Räumlichkeiten getroffen, ein Netzwerk gebildet, gezockt und natürlich Pizza gefressen und Cola getrunken. Dem Verfetten konnten sie kurzfristig ja durch inzestuöse Orgien in der Hallentoilette entkommen. In den Spielpausen. Oder während dem Essen.
Interessant wurde jetzt, dass man auch mit Menschen über den Computer kommunizieren konnte. Was für viele zu noch weniger echtem Tageslichtgehalt führte, aber andererseits auch soziale Kontakte aufrechterhielt. Jedenfalls zu denen, die einen dafür nicht belächelten.
Als dann schlussendlich mobile Geräte die Möglichkeit entwickelten, neben dem Telefonieren auch dieses schriftliche Kontaktgedöns weiterzuführen, sahen viele dieser Individuen zum ersten Mal wieder die Sonne. Und andere Menschen. Über die man natürlich sofort wieder mit Gleichgesinnten in schriftlicher Form berichten konnte. Überhaupt entsteht bei mir so langsam der Eindruck, dass man dank Facebook, Twitter und Konsorten jegliche Erkenntnisse, Unternehmungen und Wahrnehmungen nur dann wirklich erlebt hat, wenn man sie anderen online mitteilt.
Die Menschen, mit denen ich mich befasse, leben quasi online. Natürlich erleben sie auch in der realen Welt Dinge. Aber die werden eben nicht mehr gemeinsam beim Lagerfeuer, dem Flaschendrehen oder dem geselligen Rudelbumsen nebenher mitgeteilt, sondern per Statusmeldung verkündet.
Wenn man sich dann doch mal mit anderen Menschen trifft, dann meistens nur mit solchen, die auch dieser Onlinesucht frönen. Weil die die Sucht verstehen. Keiner versteht eine Sucht besser als der Betroffene. Und dann wird gejammert, dass man ja so gerne viel mehr miteinander unternehmen würde, wenn die beschissene Entfernung nicht wäre. Auf die Idee, dass direkt ein Haus weiter schon richtig coole Leute wohnen könnten, kommt man erst, wenn man sie online entdeckt. Wenn man liest, was die so erleben. Und alle halten ihre eigenen Erlebnisse für so interessant, dass sie selbst das Entfernen eines Nasenhaares medial aufbereiten und im Internet servieren. Es wird anderen Menschen Zeug erzählt, das man in der Realität vermutlich nicht mal einer Staubfluse zumuten möchte. Nur damit man sich mitgeteilt hat.
Bei aller Liebe für die Technik und ihre Möglichkeiten sehe ich hier eine gewisse Vereinsamung und einen großen Mangel an echter Lebensqualität.
Und so komme ich dann doch zu dem Schluss: früher war irgendwie besser.